Hannover 96

Der deutsche Fußball am Scheideweg – Kind stellt 50+1 in Frage

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Die Deutsche-Fußball-Liga (DFL) hat den von Martin Kind gestellten Antrag auf eine Ausnahmeregelung für 50+1 abgelehnt. Der Präsident von Hannover 96 und seine Gesellschafter sind damit erneut bei dem Versuch gescheitert, Mehrheitseigner der „Hannover 96 Management GmbH“ zu werden.

Dauerbrenner Kind und die Ausnahme

Seinen im Mai reaktivierten Ausnahmeantrag hatte Kind seit Februar ruhen lassen. Die zuvor angekündigte offene Diskussion blieb jedoch aus, und gipfelte auf der DFL-Mitgliederversammlung im März in einer vom kaufmännischen Geschäftsführer des Zweiligisten FC St.Pauli angeführten umstrittenen Abstimmung. Dessen Name ist Andreas Rettig, ehemaliger DFL-Geschäftsführer und glühender Verfechter von 50+1.

Die 50+1-Regel besagt, dass ein Verein in Deutschland stets mindestens 51% der Anteile halten muss. Die Macht der Investoren in den Klubs wird somit eingeschränkt. Ausnahmen sind nur unter der Erfüllung strenger Auflagen möglich. In der Bundesliga gilt dies offiziell für Bayer Leverkusen, den VfL Wolfsburg und die TSG Hoffenheim. Scheinbar wichtigstes Kriterium ist die Höhe der getätigten Investitionen in den letzten 20 Jahren. Laut DFL sollen diese im Fall Kind seit 1997 nicht ausreichen.

Nun wurde der Antrag schließlich vom DFL-Präsidium abgeschmettert. Zum großen Unverständnis der 96er, wie der Verein in einer Pressemitteilung bekräftigt. „Die Entscheidung des DFL-Präsidiums ist unverständlich und offensichtlich rechtsirrig. Wir können nicht nachvollziehen, welche Grundlagen das DFL-Präsidium dabei geleitetet haben“, heißt es. „Wir sind überzeugt, die satzungsgemäßen Voraussetzungen für die Ausnahmegenehmigung rechtlich sicher und vollständig nachgewiesen zu haben. Unserer Meinung nach ist die Ablehnung unseres Antrags satzungswidrig erfolgt“, machen die enttäuschten Niedersachsen ihren Standpunkt klar.

Kind und Heldt schießen scharf gegen DFL

Die DFL befindet sich mittlerweile in einer heiklen Situation. Wie DFL-Präsident Rauball bestätigte, habe man das Bundeskartellamt eingeschaltet. „Dies ist unabhängig vom aktuellen Präsidiumsbeschluss über den Ausnahmeantrag von Hannover 96 und Martin Kind erfolgt“, erklärte er die Entscheidung der DFL in einer Stellungnahme. Das dieser von Rettig mit Unverständis kommentierte Schritt, völlig losgelöst von den forcierten Plänen eines Martin Kind geschehen ist, erscheint dem allgemeinen Betrachter zurecht unwahrscheinlich. Die DFL hat sich tölpelhaft präsentiert und seinen Handlungsspielraum dramatisch eingegrenzt. 96-Manager Horst Heldt äußert sich gegenüber der Deutschen Presse-Agentur kritisch über die Vorgehensweise der DFL. „Aus meiner Sicht ist das Präsidium der DFL nicht seiner Pflicht nachgekommen, 50+1 zu bewahren und rechtssicherer zu machen, so wie es auf der Mitgliederversammlung im März beschlossen wurde“, sagte der Ex-Profi und holte noch weiter aus. „Man muss sich überlegen, ob es grundsätzlich zeitgemäß ist, gewählte Mitbewerber von Hannover 96 tragfähige Entscheidungen treffen zu lassen“.

Kind dürfte nun vor das Ständische Schiedsgericht ziehen oder zivile Gerichte mit der Klärung der Sachlage beauftragen. „Vom Unternehmen DFL bin ich enttäuscht. Es fehlt die Kraft, die notwendige Weiterentwicklung zu gestalten“, so der 96-Präsident zum kicker: „Stattdessen werden Behörden und Gerichte beschäftigt. Aus meiner Sicht ist das ein Armutszeugnis.“ Zusätzlich birgt eine solche Klage das Risiko eines völlig ungewissen Ausgangs.

Kippt Kind 50+1 nun komplett? – Bundesliga könnte profitieren

Der Unternehmer wird versuchen die rechtlich ohnehin fragwürdige 50+1-Regel, entgegen der ursprünglichen Absicht nun in ihren Grundfesten zu erschüttern. In Europa stellt das deutsche Reglement ohnehin eine Ausnahme dar. Was die Möglichkeit zur Finanzierung betrifft, hinkt der deutsche Fußball hinterher. Unterstrichen wird dies in den letzten Jahren nicht zuletzt durch das schwache Abschneiden der deutschen Mannschaften in den internationalen Wettbewerben. Die innerhalb des letzten Jahrzehnts sportlich negative Tendenz auf Klubebene ist eindeutig.

Schaut man sich die großen europäischen Ligen an, fließt das große Geld bekanntermaßen woanders. In England, Frankreich, Italien und Spanien gelten andere rechtliche Voraussetzungen um an finanzielle Unterstützung durch Investoren zu gelangen. Im Vergleich zu Vereinen aus diesen Ländern haben deutsche Klubs somit einen klaren Wettbewerbsnachteil.

Es bleibt irgendwann die Gretchenfrage: Möchten die deutschen Profivereine attraktiv für Topspieler und international wettbewerbsfähig werden? Die sich in dieser Thematik stur und inkompetent präsentierende DFL müsste diese wegweisenden Veränderungen einleiten. Es sollte möglich sein, erfolgsversprechende Geldflüsse im Sinne der sportlichen Ergebnisse zu regulieren. Ob der deutsche Fußball dafür sowas wie „seine Seele“ überhaupt noch verkaufen muss, erscheint hierbei immer mehr als eine rhetorische Frage.

Frustrierte Romantiker, genervte Investoren

Wer wie viele in Hannover Martin Kind vorwirft, die Tradition im Fußball zu zerstören, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Letzte Saison eskalierte die Situation in Hannover mehrfach. Frustrierte Fans trugen ihren Gesinnungskampf mit Stimmungsboykotten auf dem Rücken ihrer eigenen Spieler aus.

Die 96er schafften dennoch souverän den Klassenerhalt. Kind weiß jedoch, dass weitere Geldquellen genutzt werden müssen, um langfristig konkurrenzfähig zu bleiben. Diese Erkenntnis lässt sich im Zuge der Globalisierung leicht auf andere Lebensbereiche übertragen. Viele Bundesligisten sind schon lange große Unternehmen, Global Player, mit außereuropäischen Interessen, ob dies den Gegnern von Martin Kinds Ansatz nun gefällt oder nicht. Die Tendenz ist eindeutig, Geld schafft Erfolgschancen. Marketing und Merchandising betreiben alle, insbesondere übrigens die Totenkopf-Marke FC St. Pauli – mit Andreas Rettig. Obwohl man das Finanzgebaren im Fußball sicherlich berechtigterweise in Frage stellen und verurteilen muss, scheint doch im Fußball für eine antikommerzielle Gesinnung schon lange kein Platz mehr.

Fußball ist viel Geschäft und wenig Leidenschaft

Was der Fußball in den letzten Jahrzehnten verloren hat, ist die ihm einst innewohnende selbstverständliche Natürlichkeit. Das mag vielen missfallen, man muss dafür kein Nostalgiker sein. Zurückdrehen lässt sich das Rad der Zeit allerdings nicht. Jeder Fan kann schließlich frei entscheiden, ob er sich als Zuschauer lieber vermehrt dem Amateurfußball zuwendet oder sich ausschließlich der weltweit enthusiastisch verfolgten Champions League widmet.

Dass man sich in der Bundesliga Gedanken über den möglichen negativen Einfluss habgieriger Investoren macht und dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt, liegt in der Natur der Sache. Doch tatsächlich scheint es, als würden Verantwortliche wie Rettig ihre durchaus verständlichen persönlichen Ansichten über das Gesamtinteresse der deutschen Vereine stellen. Im Gegensatz zu Kind oder Dietmar Hopp wird er daraufhin interessanterweise von kaum jemandem angefeindet.

Andere schauen zurück – Kind voraus

Noch scheint Deutschland eine Oase für Fussballliebhaber zu sein. Bei allen scheinbaren Vorteilen der 50+1-Regel, wie der Unabhängigkeit der mittlerweile ausgliederten Fußballabteilungen, ist es schade, dass das DFL-Präsidium zaudert und es nicht schafft, eine klare Entscheidung zu treffen. Wen jemand blauäugig erklärt, dass er Transfers für heutzutage beinahe läppische 40 Millionen Euro noch in Ordnung findet, der Spaß für ihn ab 80 Millionen dann aber wirklich  aufhört, kann ich diese Inkonsequenz nicht nachvollziehen.

Geld regiert die Welt und auch das Ballspiel Fußball. Das Kind ist bereits vor Jahren in den Brunnen gefallen. Und Kind möchte endlich mitspielen.

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