Vor 25 Jahren: Ralf Rangnick erklärt den modernen Fußball
Am 19. Dezember 1998 trat im ZDF-„Sportstudio“ in Mainz ein Mann auf den Plan, der offenbar als Einziger die Schwächen des deutschen Fußballs kannte: Ralf Rangnick (65), damals Trainer des Zweitligisten (und späteren Aufsteigers) SSV Ulm, der „Insel des modernen Fußballs“, wie einer der im Studio gezeigten Schlagzeilen verkündet.
Manchmal kann man die Wahrheit nur mit einer Satire erzählen. Ronald Reng tat das 2013 in seinem bemerkenswerten Buch zu 50 Jahren Bundesliga, Spieltage (Verlag: Piper). Er erzählte die Geschichte der deutschen Eliteliga mit dem legendären Heinz Höher († 2019) als Protagonisten und als „Trainerleben wie ein Roman“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung).
„Wie der Rest der Welt Fußball spielt“
Zu den besten Passagen gehört sicherlich die „unerträgliche Entdeckung der Raumdeckung“ bzw. wie Heinz Höher diese erlebte. Oder anders: „Im Fernsehen erklärt Ulms Trainer Ralf Rangnick den Deutschen 1998, wie der Rest der Welt Fußball spielt.“ Das war am 19. Dezember 1998.
- In der Bundesliga hat Tabellenführer Bayern München an diesem Samstag mit 3:0 gegen den VfL Wolfsburg gewonnen. Mit dem scheinbar unzerstörbaren Lothar Herbert Matthäus (37) auf der Libero-Position haben Ottmar Hitzfelds Stars 8 Punkte zwischen sich und den Tabellenzweiten Bayer Leverkusen gebracht, der in Rostock ein 1:1 zog.
Fast „mit Ehrfurcht“ will ZDF-Moderator Michael Steinbrecher abends, nachdem Bela Réthy uns gesagt hat, wie die Bundesliga-Spiele ausgegangen sind, über das Thema „Viererkette“ mit Rangnick sprechen. Er bittet seinen Studiogast an die Taktik-Tafel.
Der Schwabe Rangnick ist schnell in seinem Element: „Die Vierer-Kette ist für uns eigentlich nur Mittel zum Zweck. (…) Wir wollen versuchen, den gegnerischen Ballbesitzer mit mindestens einem Mann mehr zu attackieren.“
Dann räumt Rangnick auf – mit „einem Mythos, der in Deutschland immer noch existiert.“ Und zwar: „Die Vierer-Kette spielt ohne Libero“ (also „mit einem Mann mehr“, wie Gerd Rubenbauer fälschlicherweise vermutete…).
„Erzeugen den Libero je nach Situation“
Rangnick klärt endlich auf: „Wir spielen nicht ohne Libero, unsere beiden Innenverteidiger erzeugen diesen Libero je nach Situation.“
Reng: „In diesem Vokabular war im deutschen Fernsehen noch nicht über Fußball geredet worden.“
Stimmt! Vor allem: Wer hätte dies tun sollen? Nein! In diesem Moment (und keine Minute früher) ist der moderne Fußball in Deutschland angekommen! Schön, dass es noch rechtzeitig vor der Jahrtausendwende geklappt hat.
Ronald Reng beschreibt diese, zu Herzen gehenden Szenen 2013 so: „Die elf gelben Magneten verteidigen auf der grünen Taktik-Tafel. Die elf Roten greifen an, mit dem Ball im rechten Mittelfeld.“ Köstlich.
Rangnick beendet dann den Taktik-Vortrag: „Wenn diese Situation zu Ende geschoben ist, haben wir eigentlich in dieser Längshälfte des Spielfeldes keinen eigenen Spieler mehr.“ – „Ich fasse also in meinen Worten zusammen“, beendete Steinbrecher die Taktik-Lehrstunde, „man deckt nicht zuordnungsorientiert, sondern gefahrenorientiert in der Zone, in der der Ball ist.“
Rangnick macht in schwäbischem Humor: „Haben Sie noch Kapazitäten frei? Dann können Sie bei mir anfangen!“
Und damit zurück in die ZDF-Sendezentrale auf dem Mainzer Lerchenberg.
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