Hinrundenfazit: Die Achterbahnfahrt des VfB
Die erste Halbserie zurück im angestammten Habitat der ersten Bundesliga ist für den VfB Stuttgart nun seit einigen Wochen abgeschlossen. Also kein schlechter Zeitpunkt um Bilanz zu ziehen und zurückzublicken. Auf eine Hinrunde, die für die Anhänger der Schwaben noch getragen von der Aufstiegseuphorie begann und dann doch im altbekannten Abstiegskampf endete. Wie ein roter Faden durch die Saison ziehen sich dabei die zwei komplett unterschiedlichen Gesichter, die der VfB offenbarte.
Jan Schindelmeiser spaltet das VfB-Lager
Noch bevor der Ball in der heimischen Mercedes-Benz Arena überhaupt zum ersten Mal rollte, waren die Gemüter im Schwabenland schon am Kochen. Denn kaum ein Thema wird bis zum heutigen Tag am Neckar so intensiv und hitzig diskutiert, wie die Personalie Jan Schindelmeiser. Knapp eine Woche vor dem Pflichtspielauftakt im DFB-Pokal gegen Energie Cottbus löste die Entlassung des damaligen Sportdirektors aus heiterem Himmel ein regelrechtes Beben aus. Zu überraschend kam die Trennung, zu dünn waren die genannten Beweggründe von Präsident Wolfgang Dietrich.
Entsprechend schockiert zeigten sich Fans und neutrale Beobachter zugleich. Nur ein paar Wochen zuvor hatte Jan Schindelmeiser noch als Zugpferd für die umstrittene Ausgliederung gedient. Die Errungenschaften Schindelmeisers waren schließlich nicht von der Hand zu weisen. Aus dem Scherbenhaufen, der nach dem historischen Abstieg übrig bleib, formte er eine junge, schlagfertige und überaus talentierte Truppe. Sein Mantra der Jugendförderung sorgte im Umfeld der Schwaben für enormen Zuspruch. Mit jungen Spielern wie Benjamin Pavard, Carlos Mané, Chadrac Akolo und Anastasios Donis gelangen gleich mehrere Verpflichtungen, die sich als Volltreffer herausstellten.
Mit Michael Reschke hatte man zwar direkt einen namhaften Nachfolger an der Angel, beschwichtigen konnte man damit aber eher weniger. Im Gegenteil: Während der Reschke-Deal von Außenstehenden häufig als Coup wahrgenommen wurde, bleiben die kritischen Stimmen unter VfB-Fans ständiger Begleiter des 60-Jährigen. Bis zum Saisonbeginn hatte der ehemalige Kaderplaner des FC Bayern dann auch nicht mehr die nötige Zeit um etwaige Wogen zu glätten.
Zwischen Heimmacht und Auswärtsschwäche
Nur selten ist es möglich den Saisonverlauf einer Mannschaft am Austragungsort der jeweiligen Spiele festzumachen. Der VfB Stuttgart in der Hinrunde 2017/18 ist eine solche Außnahme. Die heimische Mercedes-Benz Arena war für gegnerische Teams häufig eine uneinnehmbare Festung. Die erste Heimniederlage kassierte man im Spiel gegen Bayer Leverkusen erst am 15. Spieltag. Bis dahin standen vor heimischem Publikum fünf Siege, zwei Unentschieden und eine Ausbeute von beeindruckenden 16 Punkten zu Buche. Für ein Team mit dem ausgegebenen Saisonziel Klassenerhalt eine tolle Bilanz.
Im kompletten Gegensatz dazu steht die Ausbeute auf fremdem Rasen. Kein einziger Sieg, nur ein einziger Punkt (in Hannover) sprang am Ende heraus. So wirklich erklären lässt sich die enorme Punktedifferenz hierbei allerdings nicht. Schließlich waren die Auswärtsauftritte meist zumindest auf einem ähnlichen Niveau, wie die entsprechenden Leistungen vor heimischem Publikum. Relevant dürfte aber im Gesamten vorallem die enorme Offensivschwäche sein. Lediglich 13 Saisontreffer gelangen den Schwaben in der Hinrunde, auswärts waren es derer sogar nur vier. Ein Problem, das vorallem zum Ende der Hinrunde akut wurde.
Mit fünf Saisonniederlagen am Stück beendete man die Hinrunde letztendlich auf Rang 14. Das zwischenzeitlich vorhandene Polster auf die Abstiegsplätze ist mittlerweile komplett verschwunden. Die Ursachen für den Einbruch sind vielfältig. Vorallem entwickelte sich aber mit den Ausfällen von Toptorschütze Chadrac Akolo, Anastasios Donis sowie den Langzeitverletzen Daniel Ginczek und Carlos Mané eine echte Verletzungsmisere. Dennoch gilt dies weder für VfB-Anhänger noch für Chefcoach Hannes Wolf als Ausrede. Zu blutleer waren die Auftritte zuletzt. Immer meht gerät dabei die Mannschaftsausrichtung des 36-Jährigen in die Kritik.
Ist die Offensivkrise ein systematisches Problem?
Seit Beginn der Bundesligasaison setzt Hannes Wolf in der defensive auf eine Dreier/Fünferkette. Was im 5-2-2-1 System zunächst noch funktionierte, wurde mit den zunehmenden Ausfällen zu einer offensiv meist viel zu konservativen Ausrichtung. Torjäger Simon Terodde verhungerte an der Sturmspitze über weite Strecken völlig, und sucht sein Glück in der Rückrunde beim 1. FC Köln. Gerade auf der defensiven Außenbahn scheint das vorhandene Personal nicht zu den offensiv ausgelegten Außenverteidigerpositionen zu passen. Besonders Andreas Beck fällt trotz defensiv solider Leistungen offensiv regelmäßig ab. Sollte also für die Rückrunde keine entsprechende Verbesserung verpflichtet werden, könnte ein Systemwechsel weiter Thema bleiben.
Dabei gibt es in der neu formierten Startelf durchaus Gewinner. Santiago Ascacibar beispielsweise verzückt seit seiner Ankunft aus Argentinien die Zuschauer mit seiner aggressiven Spielweise im defensiven Mittelfeld. Dabei wirkt er oft wie ein Hybrid aus Javier Mascherano und Genaro Gattuso. Verteidiger Benjamin Pavard ist im Laufe des Jahres zu einem der besten Innenverteidiger der Liga gereift und schaffte entsprechend den Sprung in die mit großen Namen gespickte französische Nationalmannschaft. Nebenmann Holger Badstuber konnte immerhin 12 Saisonspiele bestreiten und beweist mit einer enormen Sicherheit, was er in fittem Zustand im Stande ist zu leisten. Dennoch müssen in der Rückrunde konstantere Leistungen her, um einem Abstiegsplatz dauerhaft aus dem Weg zu gehen.
Prognose
Zur Rückrunde hoffen die Schwaben sich mit einer Mischung aus Neuzugängen und Wiedergenesenen aus dem Negativlauf befreien zu können. Mit Heimkehrer Mario Gomez gilt es das Offensivspiel zu revitalisieren und auf einen neuen Zielspieler auszurichten. Falls dieser nämlich in das System der Hinrunde geworfen wird, bleibt zu befürchten, dass der verlorene Sohn bald zum verhungerten Sohn wird. Um dies zu vermeiden, bauen Cheftrainer Hannes Wolf und Sportdirektor Michael Reschk vorallem auf das sich lichtende Lazarett. Bis auf Matthias Zimmermann (Kreuzbandriss) können die Schwaben bereits im Trainingslager in La Manga (Spanien) wieder aus dem Vollen schöpfen. Besonders die Rückkehr von Aufstiegsheld Carlos Mané gibt dabei Hoffnung auf ein verbessertes Offensivspiel. Mit Akolo, Donis und Ginczek stehen außerdem endlich wieder Optionen für den Angriff zur Verfügung. Auch weitere, externe Verstärkungen sind bei den Schwaben bis zum Ende des Transferfensters möglich.
Sollte es dem Team von Hannes Wolf in der Rückrunde gelingen die Offensivprobleme und die damit verbundene Auswärtsschwäche zu verbessern oder gar komplett zu beseitigen, könnte man wohl eine gelassene Rückrunde spielen. Im Schwabenland ist man diesbezüglich nach dem Abstieg allerdings realistisch geworden. Man weiß, dass ein verhältnismäßig hohes Budget und ein Haufen talentierter Spieler noch keinen Klassenerhalt garantiert.