St. Pauli-Chef Rettig: „Wir wollen die Fan-nächste Liga sein“
Andreas Rettig, kaufmännischer Geschäftsleiter beim FC St. Pauli und Ex-DFL-Geschäftsführer, macht sich schon lange Gedanken über die Entwicklung des Profifußballs. Fortschreitende Kommerzialisierung, Entfernung von der Basis des Sports und Einzelpersonen, die den Fußball zu ihren, zumeist wirtschaftlichen, Gunsten nutzen. All dem steht der 55-jährige Fußballfunktionär sehr kritisch gegenüber. Und er hebt sich damit deutlich von vielen Kollegen seiner Branche ab. Am Rande des Trainingslagers der Kiezkicker in Oliva Nova, Spanien äußerte sich Rettig nun zur Zukunft der deutschen Profiligen sowie einer möglichen Änderung der 50+1-Regel.
„Wollen wir die umsatzstärkste Liga sein?“ Rettig verneint
Immer wieder gibt es Diskussionen darüber wie der deutsche Fußball und speziell die Bundesliga im internationalen Vergleich Schritt halten kann mit wirtschaftsstärkeren Ligen wie der englischen Premier League. Für Rettig sollte der Diskussionsschwerpunkt ein ganz anderer sein. „Wir müssen uns die Frage stellen: Was wollen wir als Liga? Wollen wir die umsatzstärkste Liga sein? Oder wollen wir perspektivisch andere Schwerpunkte setzen?“, fragt sich der geborene Leverkusener im Interview mit der „Hamburger Morgenpost„. „Mir wär’s lieber, wenn wir sagen, wir wollen die sozialste Liga sein, die wirtschaftlich solideste Liga, die solidarischste, die Fan-nächste Liga.“
Ein Wunsch, der nicht überall auf Zustimmung trifft. Regelmäßig legt sich Rettig mit den Größten der Branche an, um unter anderem den Erhalt der ursprünglichen 50+1-Regelung zu erwirken. Dabei ist er schon mehrfach mit Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge oder Hannover-Präsident Martin Kind aneinander geraten. Trotzdem sieht sich Rettig immer wieder in seiner Argumentation bestätigt. Es gibt zahlreiche Beispiele, wo Investoren bei Vereinen eingestiegen sind und sie in den sportlichen und finanziellen Abgrund geführt haben. Eins dieser Beispiele hat aktuell auch Auswirkungen auf einen Verein, der zweiten Bundesliga.
Fall Modeste als warnendes Beispiel für den deutschen Fußball
Seit Mitte November steht die Rückkehr von Anthony Modeste zum 1. FC Köln fest. Dennoch hat der Franzose bisher keine einzige Pflichtspielminute für die Domstädter absolviert und wird es so schnell wohl auch nicht tun. Die Vertragsmodalitäten, die zur Kündigung Modestes bei seinem Ex-Verein Tianjin Quanjian führten sind weiterhin ungeklärt. Das hängt seit neuestem auch damit zusammen, dass der Effzeh keinen Ansprechpartner mehr beim chinesischen Erstligaklub hat. Tianjins Investor muss sich nämlich wegen mutmaßlich betrügerischer Geschäfte vor der chinesischen Justiz verantworten.
Rettig nutzt dieses Beispiel, um weiterhin Werbung für die 50+1-Regelung zu betreiben: „Wer ist jetzt der Ansprechpartner? Das sind Auswüchse negativer Art, was 50+1 angeht, dass ein Verein in Schieflage gerät, weil das Unternehmen des Investors den Bach runtergeht.“ Damit rennt er wohl vor allem bei Fanvertretern und Fußballromantikern offene Türen ein. Kritiker mögen weiterhin auf einen Ausnahmefall verweisen und einen Erhalt von 50+1 als Stillstand ausweisen. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Allerdings ist eins klar: Solange Rettig beim FC St. Pauli engagiert ist, wird sich der Kultklub aus Hamburg auch bei der DFL, Rettigs Ex-Arbeitgeber, weiterhin gegen eine fortschreitende Kommerzialisierung des Fußballs einsetzen.