Hertha BSC – FC Bayern München in der Taktikanalyse
„Back to the roots“ war bereits im Sommer 2016 die neue, alte Marschroute des FC Bayern München. Carlo Ancelotti sollte den Rekordmeister im moderierenden Stil à la Jupp Heynckes oder Ottmar Hitzfeld zu alten Erfolgen führen. Diese Strategie wird nun ohne den italienischen Trainer fortgeführt, der das deutliche 0:3 in de Champions League bei Paris Saint-Germain nicht überstehen sollte. Willy Sagnol, zuvor Co-Trainer unter Ancelotti, wurde zur Interimslösung berufen und nahm in seinem ersten Spiel bei Hertha BSC Berlin die erwarteten Änderungen vor. Die unter der Woche nicht berücksichtigten Ribéry, Robben, Hummels und Boateng standen wieder in der Startelf. Süle, Vidal, Thiago und James mussten dafür weichen. Die interessanteste Maßnahme war jedoch die Versetzung von Javi Martinez ins defensive Mittelfeld, welche an das Triple-Jahr unter Heynckes erinnerte. Die alte Dame aus Berlin trat nach der Niederlage in der Europa League bei Östersunds BK mit einer auf sieben Positionen veränderten Elf an. Zudem wechselte Pal Dardai das System. Anstatt eines klassischen 4-4-2 traten die Berliner mit einem 4-2-3-1 an.
Hohes Pressing von Hertha
Zu Beginn des Spiels wurde klar, dass Hertha den Gegner ungewöhnlich früh attackierte. Hohes Pressing zählt nicht oft zu den Werkzeugen der Mannschaft von Dardai. Dies war an den großen Räumen hinter der zweiten Pressinglinie zu erkennen, welche die Bayern zu Beginn oft bespielen konnten. Die Bayern setzten durch Ribéry und Robben wieder auf klassisches Flügelspiel, bei dem beide Spieler häufig nach innen ziehen. Müller und Lewandowski harmonierten mit gut antizipierten Läufen und so kam das Offensiv-Quartett zu mehreren Strafraumszenen. Diese Szenen ermöglichten zudem Standardsituationen, in denen die Bayern drückend überlegen waren. Das frühe 1:0 fiel, weil die Hertha einen Freistoß nicht ausreichend klärte und bei der anschließenden Flanke von Boateng ungeordnet rausrückte. Hummels köpfte den Ball aus ca. 11 Metern in der 10. Minute unbedrängt ins Tor.
Munterer Schlagabtausch
Wer nun dachte, die Berliner würden ihre aggressive Taktik überdenken, sah sich getäuscht. Die Abstände beim Pressing wurden kleiner, sodass die Innenverteidiger des Rekordmeisters immer seltener den Passweg zu Tolisso und Martinez fanden. Die Bayern spielten daher oft den langen Ball, der nur selten gut verarbeitet wurde. Bei Ballbesitz Berlin war ein systematisches Pressing bzw. Gegenpressing des FC Bayern nur selten zu erkennen. So erarbeitete sich Berlin durch einfache Diagonalbälle oft Räume auf den Außen. Insbesondere Mitchell Weiser und Matthew Leckie bereiteten David Alaba und Franck Ribéry auf der linken Seite viele Probleme. Die beiden spielten den Ball häufig in den zentralen Rückraum der Bayern, wo keine Zuteilung der Gegenspieler zu erkennen war. Auf diese Art entstand in der 16. Minute die strittige Szene zwischen Javi Martinez und Vladimir Darida, in der Schiedsrichter Harm Osmers zunächst auf Elfmeter entschied, diesen jedoch nach Rücksprache mit dem Videoschiedsrichter umgehend widerrief.
Die erste Halbzeit war im weiteren Verlauf sehr ausgeglichen. Beide Teams kamen zu mehreren Chancen, da die Defensivreihen im eigenen Drittel zu unsicher agierten. Die größte Chance zum 2:0 hatte Lewandowski kurz vor der Halbzeit, nachdem Boateng Ribéry auf links gut freispielte.
Turbulente zweite Halbzeit
Auch in den zweiten 45 Minuten probierte es Hertha BSC mit hohem Pressing. Gleichzeitig zeigten sie aber auch bei eigenem Ballbesitz eine gewisse Struktur, wogegen Bayern kein Konzept zu haben schien. Somit fiel das 0:2 in der 49. Minute auch aus heiterem Himmel. Niklas Stark agierte nach einem einfachen langen Ball von Tolisso unglücklich gegen Lewandowski, der deswegen frei vor Jarstein auftauchte und nur noch einschieben musste. Der Anschlusstreffer eine Minute später durch Ondrej Duda war ebenso unvorhersehbar. Nach Ballverlust von Alaba zeigten sich die Bayern auf der rechten Seite ungeordnet, sodass Leckie den einrückenden Haraguchi anspielen konnte. Dieser umkurvte Kimmich, Boateng und Hummels, die allesamt zögerlich in den Zweikampf ging. In der Mitte stand Duda dann ebenfalls völlig frei und drückte den Ball über die Linie. Die Bayern wirkten danach verunsichert und kassierten nur zwei Minuten später das 2:2. Ein eigentlich schwacher Freistoß von Plattenhardt wurde von Tolisso ebenso schwach geklärt. Dadurch tauchte Kalou frei vor Ulreich auf und ließ dem Ersatztorhüter keine Chance.
Hertha will nicht, Bayern kann nicht
Sagnol reagierte auf den Ausgleich mit der Auswechslung von Robben, der durch Thiago ersetzt wurde. Müller rückte nun auf die Außenposition, interpretierte diese aber weitaus zentraler. Eine Minute später musste Bayern erneut tauschen, Coman kam für den verletzten Ribéry. Thiago sorgte in der Folge für wirkungsvollere Seitenverlagerungen als Tolisso und Martinez zuvor, während Coman gegen Weiser klare Geschwindigkeitsvorteile hatte. Diesen konnte er aber nicht nutzen, da seine Hereingaben nicht den Mitspieler fanden. Probatere Mittel fand der Deutsche Meister nicht und setzte auf hohe Hereingaben aus dem Halbfeld, die bereits in Paris fast nie zu Chancen führten. Berlin schien mit dem Remis zufrieden zu sein und zog sich nun stark zurück. Boateng und Hummels konnten so bei Ballbesitz weit vorrücken. Dadurch hatte die Mannschaft aber zu viele Spieler in der Mitte, während die Außen auch durch Müllers Einrücken weitgehend brach lagen. Auch die Außenverteidiger Kimmich und Alaba machten es den Berlinern zu einfach, indem sie nie bis zur Grundlinie vorrückten.
Somit konnte Bayern den am Ende fast durchgängigen Ballbesitz in nicht eine nennenswerte Torchance ummünzen und blieb im dritten Pflichtspiel in Folge sieglos, während die Hertha aus Berlin zuhause ungeschlagen bleibt und sich aus der Englischen Woche mit einem Erfolgserlebnis verabschiedet.