Das unterschätzte Team aus Südamerika – WM-Vorschau: Ecuador
Wer an große südamerikanische Fußballnationen denkt, dem kommen wahrscheinlich zuerst Brasilien, Argentinien oder Uruguay in den Sinn. Ecuador hingegen wird selten genannt. Einerseits, weil die großen fußballerischen Erfolge im Land an der Pazifikküste bisher ausgeblieben sind. Vielleicht aber auch, weil Ecuador überhaupt nicht für den Zauberfußball steht, für den Südamerika sonst oft bekannt ist. Trotzdem – oder gerade deshalb – sind die Ecuadorianer brandgefährlich und könnten bei der anstehenden Weltmeisterschaft in Katar einige Teams böse überraschen.
Ecuador schaltete renommierte Teams aus
WM-Stammgäste wie Kolumbien, Chile oder Peru sucht man bei der diesjährigen WM vergeblich. Sie alle landeten in der extrem schwierigen Südamerika-Qualifikation letztendlich hinter Ecuador. ‚La Tri‘ wurde Vierter und sicherte sich damit das letzte direkte WM-Ticket. Zum vierten Mal nimmt das etwa 17 Millionen Einwohner reiche Land damit an einer WM-Endrunde teil. Was bemerkenswert ist: All diese vier Teilnahmen liegen in den vergangenen 20 Jahren (2002, 2006, 2014, 2022).
Bei der WM 2006 in Deutschland erreichte Ecuador sogar das Achtelfinale. Diesen Erfolg will man nun wiederholen. Die Ecuadorianer treffen in Gruppe A auf die Niederlande, Senegal und Gastgeber Katar. Das angestrebte Ziel Achtelfinale scheint nicht unrealistisch zu sein.
Unangenehm für jeden Gegner
1:0, 0:0, 1:0, 0:0, 0:0 – das sind die Ergebnisse aus den Vorbereitungsspielen der vergangenen Monate aus ecuadorianischer Sicht. Die Mannschaft von Trainer Gustavo Alfaro steht also nicht unbedingt für Spektakel. Wenn man an den berühmten italienischen ‚Catenaccio-Fußball‘ zurückdenkt, wird aber klar, dass defensiver Fußball bei Weltmeisterschaften in der Vergangenheit auch schon zum Erfolg geführt hat.
Selbst Brasilien und Argentinien verzweifelten Anfang dieses Jahres schon an der ecuadorianischen Defensive. Beide kamen in der Qualifikation nicht über ein 1:1 gegen den vermeintlichen Underdog hinaus. Das zeigt eindrucksvoll, dass sich Ecuador vor keiner Mannschaft verstecken muss. Mit ihrer intensiven und leidenschaftlichen Spielweise können sie jeden Gegner vor große Herausforderungen stellen.
Identitätsskandal brachte WM-Teilnahme in Gefahr
Lange war nicht zu 100 Prozent klar, ob Ecuador das Eröffnungsspiel am 20. November tatsächlich bestreiten wird. Nach Spekulationen um die Identität von Rechtsverteidiger Byron Castillo protestieren die Verbände von Chile und Peru gegen die WM-Teilnahme Ecuadors und forderten einen Ausschluss. Castillo soll in Kolumbien zur Welt gekommen und danach illegal nach Ecuador eingewandert sein. Demnach wäre er nicht für die ecuadorianische Nationalmannschaft spielberechtigt.
Am Dienstag entschied der internationale Sportgerichtshof CAS: Ecuador darf seinen Platz in der Gruppe A behalten, bekommt für die kommende WM-Qualifikation aber drei Punkte abgezogen. Außerdem erhielt der Verband eine Geldstrafe. Begründet wurde das Urteil damit, dass Castillo in der Qualifikation grundsätzlich spielberechtigt war. Der ecuadorianische Verband (FEF) verstieß jedoch gegen Artikel 21 der FIFA-Regeln, indem er ein Dokument verwendete, das falsche Angaben zu Castillos Geburtsdaten enthielt.
Star-Spieler: Enner Valencia
Ein herausstechender Spieler ist Routinier und Kapitän Enner Valencia. Er war bereits bei der WM 2014 dabei und erzielte damals drei Treffer. Der 33-Jährige von Fenerbahce Istanbul ist Rekordtorschütze Ecuadors und hat in 74 Länderspielen 35 Mal getroffen.
In der laufenden Saison knipste unaufhaltsam weiter: 18 Scorerpunkte aus 21 Partien sprechen Bände. Auf seine Tore könnte es auch diesmal wieder ankommen. In Top-Verfassung kann er die ecuadorianische Nationalmannschaft weit tragen.
So könnten sie spielen:*
Statistik gegen Gruppengegner
Ecuador traf in Freundschaftsspielen jeweils zweimal auf die Niederlande und den Senegal und dreimal auf Katar. Das letzte Duell gegen die ‚Elftal‘ im Mai 2014 endete mit einem 1:1. Im März 2006 verlor man knapp mit 0:1. Gegen den Senegal ist „La Tricolor“ noch ohne Sieg: Die Afrikaner gewannen beide Spiele 2002 und 2005.
Die Bilanz gegen Gastgeber und Auftaktgegner Katar ist ausgeglichen. Das letzte Aufeinandertreffen gewann das Team von der arabischen Halbinsel fulminant mit 4:3. Im Februar 1996 errangen die Ecuadorianer einen 2:1-Sieg und ein 1:1-Unentschieden. Die Südamerikaner sind die einzige Mannschaft der Gruppe A, die bereits gegen jeden Gruppengegner gespielt hat.
Taktische Flexibilität als Trumpfkarte
Unter Trainer Gustavo Alfaro trat Ecuador taktisch stets sehr flexibel auf. In letzter Zeit hat sich ein 4-3-3-System als präferierte Grundordnung herauskristallisiert. Mit Carlos Gruezo (FC Augsburg) und Piero Hincapié (Bayer Leverkusen) gehören zwei Bundesliga-Profis zum Stammpersonal. Byron Castillo könnte nach seinem Identitätsskandal groß aufspielen: Der 23-Jährige war einer der wichtigsten Spieler in der Qualifikation. In den acht Spielen, in denen er auf dem Platz stand, kassierte Ecuador nur fünf Gegentore. Castillo könnte dann auch ein wichtiges Puzzleteil für die Mission Achtelfinale sein und womöglich sogar zum Shootingstar der WM werden.
Trainer Alfaro passt seine Taktik gerne dem Gegner an. Es ist also gut möglich, dass Ecuador in der Vorrunde gegen den defensiv eingestellten Außenseiter Katar anders auftreten wird als gegen die favorisierten Niederländer. Die Fähigkeit, in verschiedenen Systemen agieren zu können, ohne an Ordnung und Qualität zu verlieren, könnte ein entscheidender Vorteil sein. Betrachtet man nur die FIFA-Weltrangliste, könnte man meinen, dass Ecuador (Platz 44) nur wenig Chancen hat, sich gegen die Niederlande (Platz 8) und den Senegal (Platz 18) durchzusetzen. In Wahrheit sind die Ecuadorianer aber viel näher an Senegal dran als die Rangliste aussagt.
Fazit: Ecuador kann in Gruppe A definitiv so manchen überraschen. Dass die ‚Dreifarbigen‘ zum zweiten Mal in ihrer Geschichte das Achtelfinale erreichen, liegt absolut im Bereich des Möglichen. Wenn nicht sogar noch mehr…
Prognose: Einzug ins Achtelfinale – mehr möglich
*Update 15.11.: Byron Castillo steht nicht im endgültigen WM-Aufgebot. Der ecuadorianische Fußballverband entschied sich aufgrund der nach wie vor bestehenden Zweifel an seiner Staatszugehörigkeit gegen die Nominierung des Rechtsverteidigers.
Autoren: Julian Hickel, Maximilian Dymel
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