Mit gerade einmal 29 Jahren hat André Schürrle seine Karriere offiziell beendet. Nur wenige Tage zuvor wurde sein Vertrag bei Borussia Dortmund aufgelöst. Der Weltmeister von 2014 rechnete während seines „Spiegel“-Interviews mit dem Profi-Fußball ab. Seine Probleme sind im Sport wahrscheinlich kein Einzelfall, seinen Mut und sein Level an (Selbst-)Reflexion hingegen gibt es selten. Einen Schlussstrich unter etwas zu ziehen, wenn man realisiert, dass es nicht mehr gut tut, verdient eine Menge Respekt.
13. Juli 2014. WM-Finale. Deutschland gegen Argentinien. 113. Spielminute. André Schürrle nimmt den Ball nahe der Mittellinie auf, zieht auf die linke Außenbahn, flankt den Ball zwischen zwei Argentiniern hindurch in die Mitte auf Mario Götze. Der nimmt den Ball mit der Brust an und schießt ihn dann im Fallen mit dem linken Fuß ins lange Eck. Das entscheidende Tor zum Titel. Ihm folgte Ekstase auf dem Platz in Brasilien und in ganz Deutschland. Götze und Schürrle werden als Helden gefeiert.
17. Juli 2020. Etwas mehr als sechs Jahre nach dem größten Moment seiner Karriere beendet André Schürrle seine Karriere freiwillig mit nur 29 Jahren. Die Entscheidung sei lange in ihm gereift, sagte er dem „Spiegel“. Der Spaß am Spiel ist ihm verloren gegangen. Der Druck der Öffentlichkeit war ihm schon seit Jahren zu viel. Er hatte regelrecht Angst vor Fehlern. Zu extrem war die Reaktion der Medien. „Entweder ist man Depp oder Held. Dazwischen gibt es nichts“, klagt er an. Das ging ihm nahe. Auch die Fans waren nicht unschuldig. Manchmal habe er sich nach schlechten Leistungen kaum mehr getraut durch die Stadt zu laufen. Mehrfach überlegte er aufzuhören. Schon im vergangenen Oktober gab er solche Gedanken zu.
Solch offene und ehrliche Worte sind selten. André Schürrle zeigt der Öffentlichkeit seine verletzliche Seite und geht damit ein gewisses Risiko ein. Vielen Fans und einem nicht geringen Teil der Medien sollten seine Worte eine erneute Warnung sein. Kritik muss immer sachlich bleiben und darf nie in Extreme abrutschen. Fußball ist eine schöne Sache. Die vielleicht schönste Nebensache der Welt. Aber er ist immer noch eine Nebensache. Die psychische Gesundheit eines Menschen darf nicht darunter leiden, dass er einen schlechten Tag erwischt hat.
Seit einigen Jahren zeigte die Leistungskurve von André Schürrle beharrlich nach unten. Der einstige „Bruchweg-Boy“ war nur noch ein Schatten seiner selbst. Seit seinem BVB-Wechsel im Sommer 2016 kam er überhaupt nicht mehr auf die Beine. Im Nachhinein wird jetzt klar, dass es nicht alleine am körperlichen Leistungsvermögen, sondern auch oder vielleicht vor allem an seinem mentalen Zustand lag.
Er habe sich oft einsam gefühlt. Besonders als „die Tiefen immer tiefer wurden und die Höhepunkte weniger“. Er erkannte, dass der Fußball und das Geschäft um ihn herum ihm nicht mehr guttat und zog die Reißleine. Ein Level von Reflexion, das man nur äußerst selten sieht. Statt sein hoch dotiertes Arbeitspapier bei Borussia Dortmund noch ein Jahr lang auszusitzen, einigte er sich mit dem Verein auf eine Vertragsauflösung. Er erhielt zwar eine Abfindung, doch die fiel wesentlich geringer als sein normales Gehalt aus. Das zeigt noch einmal, wie ernst ihm diese Angelegenheit wirklich ist.
André Schürrle hat für diese Entscheidung eine Menge Respekt verdient. Sportler gelten in der Gesellschaft oft als Maschinen, die zu funktionieren haben. Schnell wird vergessen, dass hinter dem Sportler ein normaler Mensch steckt. Der Fußball muss wieder menschlicher werden. Die Aussagen des 29-Jährigen erinnern daran und sollten ein Denkzettel für viele sein. Er hat mit ihnen seinen Teil getan. Chapeau, André Schürrle! Nun ist es an anderen, die nächsten Schritte einzuleiten.
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