Hat die deutsche Europa League-Schwäche taktische Gründe?
Der internationale Wettbewerb ist in der laufenden Saison für nahezu alle Bundesliga-Teams ein Traum. Der 1. FC Köln konnte sich in der letzten Saison seinen Traum erfüllen und zog zum ersten Mal seit 25 Jahren in die UEFA Europa League ein. Die Euphorie beim Klub war dementsprechend groß. Drei Spiele später herrscht jedoch absolute Ernüchterung. Mit null Punkten und 1:5 Toren steht das Team von Peter Stöger auf dem letzten Platz und hat schlechte Aussichten auf ein Weiterkommen. Ähnlich ist die Situation bei Hertha BSC Berlin. Die „Alte Dame“ hat bisher erst einen Punkt auf dem Konto. Die TSG 1899 Hoffenheim konnte am 3. Spieltag der Europa League mit einem 3:1-SIeg gegen Basaksehir Istanbul endlich die ersten Punkte einfahren.
Die Erben von Jürgen Klopp
Rechnerisch ist der Einzug in die Runde der letzten 32 für alle Teams noch drin. Die bisher gezeigten Leistungen deuten jedoch nicht auf baldige Siege der deutschen Mannschaften hin. Die Gegner waren, abgesehen vom RV Arsenal, keineswegs Schwergewichte des europäischen Fußballs. Dennoch reichten Teams wie Östersunds BK oder BATE Borisov durchschnittliche Leistungen, um die deutschen Vertreter zu besiegen. Taktisch gab es in diesen Aufeinandertreffen wenig innovatives oder ausgefallenes zu beobachten. Eine grundsolide Defensivleistung, garniert mit schnellem Umschaltspiel, reichte gegen alle drei Bundesligisten völlig aus.
Genau diese Strategie ist auch für die meisten Mannschaften der Bundesliga der Grundstein ihrer taktischen Ausrichtung. Jürgen Klopp setzte mit seiner Dortmunder Meistermannschaft im Pressing und im Gegenpressing neue Maßstäbe. Klopp selbst beschrieb es als Underdog-Fußball. In der Europa League gelten deutsche Mannschaften aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten als klarer Favorit. Diese Rolle ist verbunden mit der Aufgabe des aktiven Spielaufbaus. Damit kommen die Bundesligisten in der Europa League nun seit mehreren Jahren nur sehr schwer zurecht.
Fehlender Plan bei eigenem Ballbesitz
Der hauptsächliche Grund ist die fehlende individuelle, aber auch gruppentaktische Stärke im eigenen Ballbesitz. Den Mannschaften fehlt zum Einen das spielerische Material auf den entscheidenen Positionen. Hertha BSC trat bei ihren Niederlagen gegen Östersunds BK und Sorja Luhansk mit Fabian Lustenberger und Per Skjelbred bzw. dem 18-jährigen Arne Maier auf der Doppelsechs an.
Der 1.FC Köln probierte es auf dieser Position bei Borisov mit Marco Höger und Salih Özcan. Diese Spieler haben allesamt defensiv hohe Qualitäten. Im eigenen Ballbesitz können sie indessen nicht dauerhaft Torchancen kreieren. Für diese Vision ist selbstverständlich in erster Linie das Trainerteam verantwortlich. Dieses gibt im Idealfall dem gesamten Team Anleitungen an die Hand, wie sie bestimmte Spielsituationen (offensiv wie defensiv) gewinnbringend lösen kann. Entsprechend sollte sich auch die Abhängigkeit einzelner Spieler verringern, was bei drei parallel gespielten Wettbewerben bitter nötig zu sein scheint. Hier mangelt es allerdings gerade bei Hertha und Köln an adäquaten Alternativen. Nach guten Anfangsphasen zeigten beide Teams kontinuierlich weniger Durchschlagskraft.
Nach dem Rückstand öffneten beide Teams Räume, wodurch große Kontergelegenheiten entstanden sind. Generell zeigte sich die Abwehr beider Mannschaften, wie auch schon in den vorigen Spielen, sehr ungeordnet. Die Abstände zwischen den Spielern waren zu unterschiedlich. Das 2:1 von Luhansk durch Alexander Swartok war beispielhaft: Im Strafraum stand Hertha mit sechs Verteidigern gegen vier Angreifer. Die linke Abwehrseite war hingegen völlig verwaist, weshalb Vorbereiter Karafaev ungehindert bis zur Grundlinie vordringen konnte.
Defensivverhalten abhängig von der Offensivausrichtung
Hertha fehlt es, ähnlich wie Köln, an einer ausgeklügelten Strategie in dieser anderen Art von Spiel. Gegen den balldominanten FC Bayern kennt jeder Spieler in nahezu allen Situationen seine Aufgabe. Zweimal hintereinander schaffte Dardais Mannschaft ein Remis. In Europa zeigen diese Spieler defensiv wie offensiv gegen weitaus schwächer besetzte Teams keine guten Leistungen. Auch in der letzten Saison schied Berlin in der Europa-League-Qualifikation sang- und klanglos gegen Brøndby IF aus. Die Gegentore fielen ebenfalls nach katastrophalem Abwehrverhalten. So liegt die Annahme nahe, dass es an der mangelhaften taktischen Ausrichtung liegt.
Die Aufgaben in der Defensive sind für eine balldominante Mannschaft völlig anders. Durch die andere Positionierung der einzelnen Spieler müssen die Räume anders verschlossen werden, als wenn die Mannschaft auf Pressing bzw. Konterspiel ausgerichtet ist. Mit diesen Aufgaben kommen Berlin und Köln nicht zurecht. Ähnlich erging es bereits dem 1. FSV Mainz 05, dem FC Schalke 04 oder Bayer 04 Leverkusen in der Europa League.
Hoffenheim als Vorbild
Die TSG 1899 Hoffenheim hat es mit strukturiertem Offensivfußball gegen Istanbul eventuell geschafft, die Trendwende einzuleiten. Allerdings funktionierte die Mannschaft von Julian Nagelsmann auch schon in der letzten Saison bei eigenem Ballbesitz. Pal Dardai hingegen sagte nach dem Spiel, dass die Mannschaft vielleicht noch nicht reif für Europa sei. Es bleibt offen, ob er diese Reife selbst besitzt.