Neustädter lobt Corona-Regeln in Russland: „Hier macht man den Lockdown richtig“
Roman Petrovič Nojštedter, hierzulande besser bekannt als Roman Neustädter, spielt seit dem letztem Sommer für Dinamo Moskau. In der russischen Hauptstadt gelten aufgrund der Corona-Krise viel strengere Regeln als etwa in Deutschland. Während die meisten deutschen Legionäre längst ausgereist sind, hat Neustädter Moskau nicht verlassen und berichtet von seinem Alltag in der Millionenmetropole – die keine mehr zu sein scheint.
Istanbul als Lebensmittelpunkt
Wie der transliterierte Name schon verrät, „bin ich ja Russe, habe den russischen Pass. Mein Lebensmittelpunkt ist aber grundsätzlich Istanbul. Dort sind auch meine Frau und mein Kind. In die Türkei dürfen Ausländer derzeit aber nicht einreisen“, erklärt der 32-Jährige im „SportBild“-Interview. Bei Fenerbahce, für das er vor seinem Wechsel nach Moskau in drei Jahren über 100 Spiele absolvierte, war Neustädter zuletzt aussortiert worden. Dass er sich ein erneutes Anheuern am Bosporus gut vorstellen könnte, ist aber kein Geheimnis.
„Moskau ist eine Geisterstadt“
Derzeit kommt eine Rückkehr in die Türkei jedoch nicht in Frage. „Selbst wenn ich eine Sondergenehmigung bekommen würde, müsste ich zwei Wochen in Quarantäne in ein staatliches Gebäude, eine Art Jugendherberge.“ Da beschloss Neustädter, es sich lieber in der Wohnung von Teamkollege Maximilian Philipp (ehemals Freiburg und Dortmund) gemütlich zu machen. „Ich habe in Moskau ja nur einen Einjahresvertrag unterschrieben. Daher habe ich mir keine eigene Wohnung zugelegt und auf dem Vereinsgelände gewohnt.“ Nun hat Neustädter zwar „mehr Platz. Aber einen Garten oder so etwas gibt es hier auch nicht.“
In Russland hat die Regierung zur Eindämmung des Coronavirus nämlich sehr harte Maßnahmen ergriffen. Nur zweimal wöchentlich ist es möglich, das Haus für die Erledigung persönlicher Dinge zu verlassen. Diese Vorgänge müssen online registriert werden. „Moskau ist wie eine Geisterstadt, egal um welche Uhrzeit. Als hätte jemand auf Pause gedrückt. Ich gehe vielleicht einmal die Woche raus zum Einkaufen. Man sieht dann kaum Menschen“, beschreibt der defensive Mittelfeldmann denn Alltag in der 12-Millionen-Stadt. Wer seinen Stadtteil verlassen oder „mit dem Auto fahren will, muss sich eine Genehmigung dafür holen.“
6 Wochen von Frau und Kind getrennt
Mit den Einschränkungen geht natürlich eine flächendeckende soziale Isolation einher. „Es ist ganz schön hart, so alleine zu sein“, bestätigt Neustädter. „Es ist, als würde man sich zurückentwickeln. Wenn man so wenig mit Menschen spricht, verlernt man fast ein wenig die Sprache und vergisst Wörter.“ Obwohl er „täglich Sport“ macht, liegt der frühere Profi von Mainz, Schalke und Gladbach „manchmal aber bis 5 Uhr nachts wach, weil ich nicht ausgelastet bin.“ Das ginge sogar so weit, dass Neustädter einmal mit Netflix „die Nacht durchgemacht“ hätte und dann einfach „einen Kaffee getrunken“ und problemlos „den Tag gestartet“ habe.
Seine Frau und sein Kind hat der Abräumer „seit über sechs Wochen nicht gesehen. Wir skypen zwar
viel, aber das ist kein richtiger Ausgleich.“ Dennoch findet er das Vorgehen der Regierung prinzipiell zwar angemessen, doch“es ist schwierig, weil hier kaum kommuniziert wird, wie es weitergeht.“ Trotzdem stellt Neustädter klar: „Wenn man einen Lockdown macht, dann auch richtig.“ Die Russen nähmen die Lage schließlich ernst, gleichzeitig blickt der langjährige Bundesliga-Profi „manchmal verwundert nach Deutschland.“
„Gibt Tage, da bin ich sehr deprimiert“
Durch viele Telefonate mit seinem ehemaligen Schalker Mitspieler Benedikt Höwedes (jetzt Lokomotive Moskau) ist Neustädter bestens informiert. „In Deutschland läuft das Leben ja bis auf ein paar Einschränkungen weiter. Menschen machen draußen Sport, spielen im Park und können sich sonnen“ – alles Dinge, die ihm und fast 150 Millionen anderen Russen zurzeit quasi untersagt werden. Einerseits freue sich der 12-fache russische Nationalspieler für die Leute hierzulande, beklagt allerdings gleichzeitig: „Aber dennoch beschweren sich viele Menschen ja in Deutschland, dass die Einschränkungen zu übertrieben seien – die sollten mal hier nach Russland schauen!“
Sich seinerseit zu beschweren liegt dem Sohn einer Russin und eines Wolga-Deutschen jedoch fern. „Mir geht es ja gut. Es gibt viele Menschen, die größere Probleme haben als ich.“ Neben seiner Familie vermisst es Neustädter vor allem „in Cafés zu sitzen und in Restaurants zu gehen. Und ich vermisse es, jemanden auf dem Platz umzugrätschen.“ Grundsätzlich sei er „ein Mensch, der eigentlich die ganze Zeit draußen unterwegs ist.“ Die jetzige Phase ist daher für ihn persönlich eine große Herausforderung. „Es gibt Tage, da bin ich schon sehr deprimiert“, gesteht Neustädter.