Vier Tage nach der Entlassung von Pellegrino Matarazzo konnte sich die TSG Hoffenheim die Dienste ihres Wunschnachfolgers sichern. Christian Ilzer kommt von Sturm Graz (Vertrag bis 2027) und ist neuer Cheftrainer der Kraichgauer – doch was kann die TSG vom Österreicher erwarten? Eine Analyse von Maximilian Dymel.
Dass sich Christian Ilzer trotz guter Ausgangslage in der Liga und Champions-League-Fußball mit Graz für einen Wechsel entschieden hat, dürfte vor allem mit der Personalie Andreas Schicker zusammenhängen. Schicker ist seit Anfang Oktober neuer Sportgeschäftsführer der TSG Hoffenheim. Zuvor hatte er Sturm Graz als Geschäftsführer zusammen mit Ilzer seit 2020 in jeder Saison in die Top 3 der österreichischen Liga geführt. Der Höhepunkt gelang im Sommer 2024: Nach dem Cupsieg im Jahr zuvor holten die ‚Blackies‘ das Double. Liga-Primus Red Bull Salzburg wurde nach neun Jahren von der Spitze gestoßen.
Schicker hatte wohl schon länger vor, seinen alten Bekannten aus der Steiermark nach Sinsheim zu locken. Dabei spielte die Entlassung des schon lange in der Kritik stehenden Pellegrino Matarazzo in die Karten. „Rino“ Matarazzo übernahm im Februar 2023 eine komplexe Aufgabe bei der TSG. Begleitet von vielen Zweiflern startete die Zusammenarbeit holprig – im folgenden Sommer schaffte man nach einem starken Endspurt schlussendlich den Klassenerhalt. Es ging weiter bergauf: Der US-Amerikaner konnte Hoffenheim in der vergangenen Saison überraschend in die Europa League führen.
Was nach einer gelungenen Symbiose zwischen Trainer und Mannschaft klingt, muss jedoch kritisch beäugt werden. Matarazzo hat es in zwei Jahren nicht geschafft, der TSG Hoffenheim Konstanz und ansehnlichen Fußball zu bescheren. Die Folge: Eine defensive Spielweise mit wenig Pressing (aber trotzdem sehr anfällig), immer weniger Zuschauerzahlen (für einen ohnehin nicht so populären Verein) und immer größere Unzufriedenheit. Die finanziellen Mittel, die die TSG im Sommer auf dem Transfermarkt in die Hand genommen hatte (27 Mio. € Transferminus), waren nicht rentabel.
Als Alexander Rosen (bis Ende Juli 2024 Sportchef) seinen Posten räumen musste, verlor Matarazzo zudem einen seiner wichtigsten Fürsprecher. Die Entlassung des 46-Jährigen schien folglich nur eine Frage der Zeit. Der designierte Nachfolger stand schnell fest: Christian Ilzer sollte aus Graz kommen und Matarazzo beerben. Die Verhandlungen gestalteten sich nicht problematisch. Schicker wollte seinen ehemaligen Weggefährten zu sich locken, Ilzer den nächsten Schritt wagen. Dem Vernehmen nach überweist die TSG für seine Dienste 2,5 bis 3 Millionen Euro in die zweitgrößte Stadt Österreichs.
Doch was kann sich die Hoffenheim vom neuen Cheftrainer erwarten? Kurzum: Eigentlich alles, was dem Verein zuletzt gefehlt hat. Vollgas, Tempo und einen emotionalen Charakter an der Seitenlinie. Ilzer ist für seine energische und manchmal impulsive Art bekannt, die ihm in der Vergangenheit die ein oder andere Gelbe Karte eingebracht hat. Bei Sturm Graz ließ er seit seiner Anstellung stets einen risikoreichen, aber erfolgreichen Fußball spielen. „Er hat eine klare Vorstellung, wie er spielen lassen will“, sagte TV-Experte und Ex-Sturm-Graz-Profi Roman Mählich bei „SWR Sport“. Der 47-Jährige setze auf klare Abläufe, viel Pressing und vor allem schnellen Powerfußball.
Der Begriff des Tempos ist in seinem System von großer Bedeutung. „Es ist sehr laufintenisv, das geht an die Substanz. Manche Spieler haben erzählt, dass sie sich tot gelaufen haben“, so Mählich über den Grazer Erfolgstrainer. Der Schritt vom Spitzenreiter der österreichischen Bundesliga in größere Gewässer ist logisch. Mit Schicker möchte Ilzer bei der TSG den nächsten Karriereschritt wagen. Beide kennen sich gut und schätzen einander sehr, was für den neuen Hoffenheim-Trainer sicherlich kein Nachteil ist. Auch sei Schicker laut Mählich ohnehin „sehr loyal“ gegenüber Trainern und möchte ihnen die Zeit einräumen, die sie brauchen.
Genau das hat Sturm Graz in den letzten vier Jahren aus einer Krise zu drei Titeln verholfen. Die TSG Hoffenheim kriegt einen erfahrenen Mann, der in Österreich zuletzt das Maß aller Dinge war. Doch damit nicht genug: Neben Ilzer kommen auch sein engerer Trainerstab und weitere Wegbegleiter aus Graz nach Sinsheim. Im Sommer gingen neben Schicker bereits der Technische Direktor Paul Pajduch und Außenbahnspieler Alexander Prass den Weg. Die Leihe von Erencan Yardımcı (von Hoffenheim nach Graz) steht vor einem Abbruch. Das Talent konnte unter Ilzer überzeugen und würde die schwache Offensive der TSG sofort verstärken.
Die TSG Hoffenheim bekommt aus Graz ein eingeschworenes Team, das direkt beim aktuell kriselnden Klub anpacken kann. Christian Ilzer, Andreas Schicker und Co. haben eine große Aufgabe vor sich. Hoffenheim liegt in der Bundesliga mit neun Punkten aus zehn Spielen auf Tabellenplatz 15. Von den letzten neun Ligaspielen wurde nur eines gewonnen. Doch Ilzer gilt als Visionär und stets erfolgshungrig. Nach seinem Amtsbeginn bei Sturm im Sommer 2020 zeichnete er das Bild einer Doublefeier in der Grazer Herrengasse. Vier Jahre später wurde seine Vision Realität. Ein gutes Omen für die TSG Hoffenheim, die seit der Entlassung von Sebastian Hoeneß im Sommer 2022 um Kontinuität ringt.
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