August 2004, Pörtschach am Wörthersee. Der neueste Titel von Gerry Friedle, genannt DJ Ötzi (Weltkarriere unter bürgerlichem Namen nicht möglich) dudelt durch die Lautsprecher der Bars an der Strandpromenade. „Tanz den Rehhakles“, war der Songtitel und man wusste in diesem Moment: Nun war der Griechen-Hype auch in Österreich angekommen…
„Tanz mit mir den Rehhakles – Bis du ein echter Grieche bist“, laute eine der reimsicheren Zeilen.
Dabei machte gar kein echter Grieche den bis heute größten Außenseiter-Sieg bei einer Europameisterschaft möglich: Es war der deutsche Coach Otto Rehhagel.
Im Herbst 2000 bei Lautern geschasst, wechselte der Meistertrainer des FCK (1998) und von Werder Bremen (1988, 1993) nach einem Anruf von Vassilis Gagatsis (68) zum griechischen Fußballverband. Und schuf dort ein episches Wunder. Trotz anfänglicher Kommunikationsprobleme und einer improvisierten Pressekonferenz auf dem Flughafen von Athen.
„Ich spreche ein bisschen Englisch, criminal English“, erzählte Rehhagel später im wertvollen Dokumentarfilm King Otto (2021).
Das reichte offenbar aus, um eine bis dahin in der europäischen Fußball-Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Nationalmannschaft auf den Olymp zu führen.
„Als ich Präsident wurde“, erzählte der 2008 als Verbandschef zurückgetretene Gagatsis in King Otto, „glich die griechische Nationalmannschaft einem Wanderzirkus. Sie hatte nicht einmal einen Trainingsplatz.“
Europameister-Torhüter Antonios Nikopolidis: „Es gab wirklich wenig Interesse an unserer Nationalmannschaft.“
Das sollte sich ändern. Gagatsis: „Ich wollte nicht so weitermachen wie bisher mit der Nationalmannschaft, deswegen engagierte ich Rehhagel.“ Ein Glücksgriff.
Otto Rehhagel formte ein echtes Team – und das ohne jegliche Griechisch-Kenntnisse. Für ihn galt sein altes Motto: „Die Griechen haben die Demokratie erfunden. Ich habe eine demokratische Diktatur eingeführt.“
„Rehhakles“ wusste aber auch um die Wankelmütigkeit der Griechen: „Wenn wir zweimal gewinnen, wollen sie gleich Europameister werden, und wenn wir zweimal verlieren, wollen sie sich gleich ins Meer stürzen.“
Griechenland als Europameister 2004 war mit dem EM-Coup von Nachrücker Dänemark 1992 nicht zu vergleichen. Die Dänen verfügten über viele erfahrene Profis aus internationalen Top-Klubs, wie Brian Laudrup vom FC Bayern München, der nach der EM zum AC Florenz wechselte, Torhüter Peter Schmeichel von Manchester United, Flemming Povlsen vom BVB oder John Sivebaek von der AS Monaco.
Nur 1980 in Italien hatte Griechenland zuvor an einer EM-Endrunde teilgenommen – und holte ausgerechnet gegen den späteren Europameister BR Deutschland seinen einzigen Punkt (0:0).
Der 2:1-Erfolg gegen Portugal im Eröffnungsspiel in Porto wurde somit am 12. Juni 2004 der erste Sieg Griechenlands bei einem EM-Turnier.
Das Halbfinale gegen Tschechien in Porto am 1. Juli 2004 war das einzige Spiel bei der EM, das durch das von der UEFA damals eingeführte „Silver Goal“ entschieden wurde. Die Mannschaft, die am Ende der ersten Verlängerungshälfte führte, war der Sieger. Und das war in diesem sehr speziellen Fall Griechenland in der Nachspielzeit der 1. Verlängerungshälfte – durch ein Tor von Abwehrchef Traianos Dellas von der AS Rom.
Mit dem 1:0 durch Angelos „Harry“ Charisteas (Werder Bremen) im Finale gegen Portugal und dessen Jungstar Cristiano Ronaldo sorgte Griechenland dafür, dass der Gastgeber erstmals in der EM-Geschichte eine Final-Niederlage hinnehmen musste.
Bis dahin hatten Spanien (1964), Italien 1968 und Frankreich 1984 jeweils ihre Endspielteilnahme bei der Heim-EM erfolgreich beendet.
Bei der Rückkehr tanzte Griechenland in der Tat den „Rehhakles“: 100.000 Fans empfingen den neuen Europameister im alten Olympiastadion von Athen.
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