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Ex-Nationalspieler Jens Nowotny im Fussballdaten-Interview: Für Leverkusen „ist selbst der erste Platz drin“

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Insgesamt 336 Bundesligaspiele und 48 Länderspiele absolvierte Jens Nowotny in seiner fußballerischen Laufbahn. Vor allem seine Zeit bei Bayer 04 Leverkusen war von einigen Höhen und Tiefen bestimmt. Über mehrere Jahre war der Innenverteidiger Kapitän der Werkself. 2006 beendete der mittlerweile 46-Jährige seine Karriere bei Dinamo Zagreb. Mit Fussballdaten.de sprach Jens Nowotny nun über seine lange Zeit in Leverkusen, die Erfahrungen in einer Beratungsagentur und seine Meinung über die derzeitige DFB-Kritik.

Nowotny: Leverkusen „arbeitet sich wieder auf Champions League Niveau“

Hallo Jens! Du warst von 1996 bis 2006 zehn Jahre lang bei Bayer Leverkusen unter Vertrag. In dieser Zeit gab es einige Höhen und auch ein paar Tiefen. Was waren für dich selbst die wichtigsten Spiele und Momente während dieser Zeit?

Nowotny: Mit Sicherheit die Champions League-Saison mit den Spielen beim FC Arsenal oder auch in Manchester gegen United. Das bleibt natürlich in Erinnerung, aber auch andere Partien. Zum Beispiel in Hamburg, als ich mal ein besonders gutes Spiel gemacht. So als einzelne Spiele bleibt das in Erinnerung. Aber insgesamt war die komplette Zeit in Leverkusen, vielleicht bis auf das letzte Jahr, eigentlich immer besonders. Das Ganze ist nicht unbedingt an einem Spiel festzumachen, sondern wirklich eher an einer Serie.

Ärgerst du dich im Nachhinein, dass du 2002 verletzungsbedingt nicht im Champions League-Finale spielen konntest?

Klar wäre es schön gewesen, wenn ich damals gespielt hätte. Genauso schön wäre es jedoch gewesen, wenn die Mannschaft an dem Tag den Titel gewonnen hätte.  Das Ganze ist so ein bisschen Demut, wenn man darüber spricht, aber in melancholische Altersstimmung falle ich deshalb nicht.

Derzeit läuft es gut in Leverkusen. Denkst du, eine ähnliche Zeit wie zu Beginn der 2000er könnte bald wieder in Leverkusen herrschen?

Vielleicht ist es in dieser Saison wirklich so, dass es ein Europa League-Kader ist. Der Kader ist relativ schmal. Wenn der ein oder andere noch ausfällt, muss man mal sehen, wie man es verkraftet. Qualitativ ist es im Moment Europa League, aber in der Bundesliga arbeitet man sich wieder auf Champions League-Niveau hoch. Sie sind derzeit zumindest ein Anwärter auf diese Plätze.

Es hängt auch viel davon ab, wie Bayern München immer wieder mit solchen Minikrisen zurecht kommt oder mal länger nicht wirklich punktet. Dann ist selbst der erste Platz drin, warum auch nicht? Jeder ist schlagbar, egal ob es Leipzig oder Dortmund sind, selbst Bayern. Man muss wirklich selbst dran bleiben und die Hausaufgaben machen. Wenn man die eigenen Spiele gewinnt, kann man sich am Ende nicht vorwerfen. Das war ja das Problem von uns. Man konnte nie sagen die anderen waren Schuld.

Nowotny über Kritik an Löw: „Es muss erst einmal eine Alternative her“

Du hast 2006 deine Karriere beendet. Im Anschluss deiner Karriere warst du für die Beratungsagentur INSOCCER tätig. Wie steht es mittlerweile um diese Agentur?

Nowotny: Die Spielerberatungsagentur gibt es zwar noch, aber ist mit viel Idealismus an den Start gegangen. Man hat gedacht, dass die Jungs in aller erste Linie eine gute Beratung wollen. Dies hauptsächlich über den Beruf des Fußballers und nicht über das Geschäft. Ich bin über mehrere Jahre immer wieder enttäuscht worden. Mein Partner noch viel mehr als ich. Vor allem wie sich die einzelnen Person entwickelt haben, dass es nicht mehr auf das besprochene Wort ankommt, sondern nur den Gedanken um irgendwelche Verträge.

Das Ganze hat sich so negativ verändert.  INSOCCER besteht zwar noch und man sollte nie nie sagen, aber im Moment bin ich nicht mehr aktiv. Auch beim Spielerberaten bin ich nicht mehr dabei. Es hat Spaß gemacht, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Wenn dich die Spieler als Beratungsagentur fallen lassen und auch belügen, ist das nicht die feine Art.

Du hast für Deutschland insgesamt 48 Spiele absolviert. Was waren im DFB-Dress die größten Augenblicke deiner Karriere?

Das war natürlich die Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land. Wenn man im eigenen Land bei einer WM dabei ist und im letzten Spiel auch noch spielen darf, bleibt man bei den Menschen als komplette Mannschaft einfach in Erinnerung. Das Ganze war natürlich schon ein Highlight. Aber auch für die Jugendnationalmannschaft im Wembley-Stadion bei einem 2:1 Sieg zu spielen. Genauso auch das Spiel im Wembley-Stadion mit der A-Nationalmannschaft, das wir 1:0 gewonnen haben. Das sind schon Spiele, die einfach in Erinnerung bleiben.

Der DFB wird derzeit viel kritisiert. Vor allem Joachim Löw bekommt viel ab. Findest du die Kritik am Nationaltrainer angebracht?

Nowotny: Kritik muss ja nicht immer was schlechtes sein, wenn sie konstruktiv ist. Nur zu sagen, er habe sich abgenutzt und muss weg, ist für mich eine politische Aussage. Es müsste erst einmal eine Alternative her und auch ein Alternativplan. Es heißt ja nicht direkt, dass alles wieder läuft, wenn er weg ist und man die alten Spieler wieder zurückholt. Für den ein oder anderen wäre das wahrscheinlich wünschenswert, aber so einfach kann man sich es nicht machen.

Irgendwann hätte sowieso ein Umbruch in der Nationalmannschaft stattfinden müssen. Es gilt die Zeit, welcher so ein Umbruch benötigt, auch mal durchzustehen. Auch Frankreich, Brasilien oder Italien hatten schon einmal solche eine Durststrecke. Bei uns war es ja damals ähnlich. Nach den zwei verkorksten Europameisterschaften, mit einer starken Weltmeisterschaft dazwischen, kam wieder eine gute Weltmeisterschaft.

Ich denke die Art und Weise, wie der DFB mit den Problemen in und um die Mannschaft herum umgegangen ist, hat letztlich dazu geführt, dass die Kritik so lautstark geworden ist. Wenn man die WM 2018 betrachtet und wie im Vorfeld mit dem Thema Özil und Gündogan umgegangen wurde, war es von allen Seiten sehr unglücklich. Meines Erachtens entstand dadurch diese verkorkste WM.

Ich glaube, dass die Verkettung, „die Mannschaft“ als Marke, die verlorene Fannähe und auch Präsidenten Dinge taten, die nicht ganz so optimal gelaufen zu dieser Verkettung an Ereignissen geführt hat. Die Außendarstellung hat schon ein wenig gelitten. Das Ganze hat dann dazu beigetragen, dass die Kritik so extrem ausgeführt wurde.

Ein großer Kritikpunkt beim DFB ist auch das Thema Führungsspieler. Viele Kritiker sehen im aktuellen Kader keine richtigen Führungsspieler. Wie siehst du das Ganze? Vor allem, wenn du deine DFB-Zeit mit dem aktuellen Kader vergleichst?

Man hat nach der WM 2014 natürlich ein bisschen das Problem gehabt, dass Spieler wie Schweinsteiger, Mertesacker, Klose und Lahm auf einmal zurückgetreten sind. Ich glaube, dass das so ein bisschen das Problem ist. Die Qualität von den Jungs, die auf dem Platz stehen, ist überragend. Genauso aber das Führungsprinzip. Wenn jetzt ein Timo Werner, Leroy Sane oder auch Kai Havertz fußballerisch nicht so richtig in das Spiel kommen, dann können die nicht den Hebel umlegen, sich reinkämpfen und andere mitreisen. Das funktioniert bei solchen Typen leider nicht.

Da hat man eigentlich immer Spieler gehabt wie Miroslav Klose oder ein Schweinsteiger, die auch über diese Schiene kommen konnten. Das fehlt so ein bisschen. Ich denke man hat es vielleicht verpasst andere Spieler länger für die jungen Spieler dabei zu lassen. Man hat damals die erfahrenen Spieler gehabt und noch die ganz jungen. Plötzlich brechen die vier Erfahrenen weg und es gehen noch drei andere, wodurch solch ein Vakuum an Orientierungsspielern entsteht. Die jungen müssen ja nicht bloß geführt werden, sondern sich auch noch an älteren Spielern orientieren. Und das fehlt so ein bisschen, die Zeit in so eine Orientierungsrolle hineinzuwachsen.

Nowotny: „Am Ende dankt dir niemand, ob du bleibst oder gehst“

Die Kader der Bundesligisten werden seit Jahren immer jünger. Besonders in der Bundesliga wird ziemlich viel auf junge Talente gesetzt. Leider kommt es jedoch immer wieder vor, dass junge Talente den Verein wechseln wollen und auf Mittel, wie zum Beispiel einen Trainingsboykott setzen. Inwiefern denkst du, dass sich junge Spieler im Vergleich zu damals verändert haben?

Nowotny: Also es hat sich schon verändert. Ich hätte es in meiner Zeit nicht gemacht. Ich hab Angebote von großen Vereinen nicht wahrgenommen und bin nicht mal zum Verein gegangen, um anzufragen, ob es eine Möglichkeit gäbe.

Letztendlich wurde ich aber trotzdem suspendiert in Leverkusen und auch von den Fans beschimpft und beleidigt. Was man daraus lernen konnte ist, dass dir am Ende niemand dankt, ob du bleibst oder ob du gehst. Das Ganze ist heutzutage vielleicht noch ein wenig egoistischer geworden, was aber nicht unbedingt negativ sein muss.

Dein Abgang 2006 von Leverkusen endete nicht im Positiven. Wie lief es für dich zum damaligen Zeitpunkt? Konntest du gut mit diesem Stress umgehen?

Also umgehen konnte ich damit schon. Innerhalb der Mannschaft und auch des Trainerteams hatte ich absoluten Zuspruch. Außerhalb hätte jeder Fan alleine auf mich zukommen können und mit mir reden können. Ich hätte ihnen die Situation erklärt und vor allem meine Sichtweise. Ich bin fest davon überzeugt, dass man auch gesagt hätte, dass ich eigentlich Recht habe. Was ich daraus gelernt habe: Keiner ist größer als der Verein.

Ich bin nun knapp 15 Jahre draußen und Leverkusen gibt es immer noch. Es sind leider schon einige ehemalige Leverkusner und auch andere Vereinszugehörige gestorben, aber Bayer Leverkusen gibt es immer noch. Es stellt sich im Prinzip immer nur die Frage, wie weit gehst du für deinen moralischen Ansatz und, ob es das überhaupt wert ist.

Immer noch ein Tabu-Thema im Profifußball ist der Druck/Stress eines Spielers. Denkst du es hat sich in den vergangenen Jahren etwas in diesem Bereich verbessert?

In vielerlei Hinsicht wollen die Spieler selbstbestimmt sein. Warum sollen sie sich dann nicht auch selbst Hilfe holen? Beziehungsweise selbst darum kümmern. Ich sehe eher die Spieler selbst in der Verantwortung. Ich denke die Öffentlichkeit hat bei diesem Thema die größte Rolle.

Ich erinnere mich noch, als der damalige DFB-Präsident bei der Beerdigung von Robert Enke eine bewegende Rede über dieses Thema gehalten hat und es auch in den ganzen Medien thematisiert wurde. Knapp zwei Wochen später hing eine erhängte Manuel Neuer-Puppe von einer Autobahnbrücke. Ich denke man braucht nichts mehr dazu sagen. Dass sich die Öffentlichkeit darum kümmert, wird man nie erleben. Man muss es selbst tun.

Wie waren deine eigenen Erfahrungen mit dem Thema Druck? Hattest du selbst mal Phasen, in denen du an zusätzliche Hilfe gedacht hast?

Nowotny: Also zunächst einmal ticke ich so ein bisschen nach Bauern-Weisheiten. Wenn du mit den Leuten, mit denen du täglich zutun hast, respektvoll umgehst, wird dir auch Respekt entgegengebracht. Solche Leute werden eine schwächere Phase auch eher mit dir durchstehen, als ein unbekannter Fan, der dich am Wochenende hochjubelt und am nächsten Wochenende am liebsten in die Tonne kloppen würde. Dass man alle mit Respekt behandeln sollte, ist das Wichtigste. Das macht nicht jeder.

Ich hab zum Glück nie Hilfe benötigt, da es für mich eine Art Selbstverständlichkeit war. Ich hab viel gelesen, Musik gehört und auch versucht mich weiter psychologisch zu bilden, ohne jetzt etwas Großes anzufangen. Es hat einfach gepasst. Ich war in einer tollen Mannschaft, habe tolle Freunde aus meiner Kindheit, eine tolle Familie, eine Frau, die mich immer unterstützt hat.

Für mich ist es immer schwer nachvollziehbar, wenn ein gesunder Millionär über Druck spricht. Ich weiß nicht, ob sich viele damit auseinandersetzen, was es gerade in der Corona-Zeit heißt Druck zu haben, wenn man in Kurzarbeit muss. Ich hab noch nicht von einer Fußballmannschaft gehört, die in Kurzarbeit geht. Aber die Belegschaft eben schon. Da sollte man vielleicht mal den Begriff Druck etwas anders definieren.

Fussballdaten.de dankt für das Interview!

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