Im Nachbarland für Überraschungen gut? – WM-Vorschau: Saudi-Arabien
Durch die geografische Nähe zum Gastgeberland Katar darf Saudi-Arabien auf viel Unterstützung der heimischen Fans hoffen. Die Mannschaft von der arabischen Halbinsel gilt in der Gruppe C mit Argentinien, Polen und Mexiko als klarer Außenseiter. Können die Saudis jedoch über die Rolle eines Punkteverteilers hinauswachsen und womöglich das WM-Achtelfinale erreichen?
Souverän zur politischen Brisanz
Die Weltmeisterschaft ist mehr denn je ein arabisches Turnier. Neben Gastgeber Katar qualifizierte sich auch das benachbarte Saudi-Arabien für die Endrunde. Dass sich die Saudis ein Ticket für die WM sicherten, bringt politische Brisanz zum Veranstalter. Katar und das Königreich waren lange zerstritten, bevor ein Abkommen im Jahr 2021 eine Wirtschaftsblockade der Katarer beendete.
Zum sportlichen: Saudi-Arabien spielte sich souverän durch die WM-Qualifikation. Die „grünen Falken“ gewannen die zweite Runde mit fünf Punkten Vorsprung auf Usbekistan. In ihrer dritten Vorrundengruppe setzten sich die Saudis vor den vermeintlich stärkeren Mannschaften Japan und Australien durch. In den vergangenen fünf Partien blieb das Team von Trainer Hervé Renard ungeschlagen und kassierte nur einen Gegentreffer – allerdings fielen lediglich drei eigene Tore.
Star-Spieler: Salman Al-Faraj
Kapitän Salman Al-Faraj ist der Star der saudischen Nationalmannschaft. Der zentrale Mittelfeldspieler spielt seit 2008 für Al-Hilal SFC in der Saudi Pro League und kommt auf 70 Länderspiele. Im Zentrum des Spiels von Saudi-Arabien soll der 33-Jährige lange Bälle auf die schnellen Flügelspieler schlagen. Allerdings ist fraglich, ob er fit genug für 90 Minuten sein wird. Al-Faraj hatte vor der Weltmeisterschaft mit Schulterproblemen zu kämpfen.
Ein wichtiger Faktor im Spiel des Weltranglisten-51. könnte auch Firas Al-Buraikan werden. Der 22-Jährige ist ein fleißiger Mittelstürmer, der auch gerne gegen den Ball agiert. Er scheut nicht vor Zweikämpfen zurück und hat seine Torgefährlichkeit bereits im Nationaltrikot unter Beweis gestellt. In 27 Einsätzen unter Trainer Renard traf der Offensivspieler sechsmal. Der Al-Fateh-Profi passt gut in das System und die Spielweise des französischen Coachs und könnte sich auf der großen Bühne in Katar beweisen.
So könnten sie spielen:
Wer fällt aus?
Rechtsaußen Fahad Al-Muwallad gehörte bei der Nationalmannschaft zum Stammpersonal. Trainer Renard strich den Offensivspieler wegen eines möglichen Doping-Vergehens jedoch aus dem Kader. Nawaf Al-Abed wurde für ihn nachnominiert.
Statistik gegen Gruppengegner
Bislang konnte die saudische Nationalmannschaft gegen keinen der kommenden Gruppengegner einen Sieg einfahren. In Katar trifft Saudi-Arabien zum fünften Mal in der Geschichte auf Argentinien. Gegen den Auftaktgegner der WM 2022 haben die Saudis noch nie gewonnen. Zweimal spielte die Mannschaft aus dem Königreich gegen den zweifachen Weltmeister unentschieden. Die restlichen zwei Partien gingen verloren.
Drei Spiele bestritten die „grünen Falken“ gegen Polen – alle drei gewannen die Europäer. Auch die Statistik gegen Mexiko ist nicht besser: Die Mittelamerikaner gewannen vier von fünf Begegnungen – eine Partie 1998 endete Remis.
Kompakt und taktisch klug
Der Franzose Hervé Renard trainiert den Weltranglisten-51. seit 2019. Extra-Slim-Fit-Hemden wurden bei der WM 2018 zu seinem Markenzeichen. Sie sind für des zweimaligen Afrika-Cup-Sieger ein Glücksbringer – auch wenn es seiner Mannschaft eher an Qualität als an Glück mangelt. Kein Spieler des 26-Mann-Kaders ist in europäischen Topligen aktiv. Einige stehen in der Türkei unter Vertrag. Die unbekannten Akteure sollen mit einer kompakten und schlauen Taktik aus sich herauskommen.
Renard setzt seit Beginn seiner Amtszeit auf ein 4-2-3-1-System, Umschaltfußball und auf Erfahrung im Tor: Mohammed Al-Owais soll den Kasten sauber halten. Der 31-Jährige hat bereits 33 Länderspiele auf dem Buckel und geht in seine zweite WM. Das Aufgebot ist eine Mischung aus einigermaßen erfahrenen und hungrigen Spielern, bei denen Disziplin einen hohen Stellenwert haben soll. Auch kennen sich die Mitspieler aus der heimischen Liga und ihren Vereinen.
Ein großes Problem der Mannschaft: es fehlen Talente. Kein junger Spieler hat auch nur ansatzweise internationales Niveau. Kein Führungsspieler ist noch relativ jung. Das ist für die Saudis bereits jetzt ein Hemmnis – und könnte ihnen langfristig zum Verhängnis werden.
Saudi-Arabien fußballbegeistert
Für Saudi-Arabien ist es die sechste WM-Teilnahme. Von 1994 bis 2006 war das Land aus dem Mittleren Osten bei den Endrunden vertreten. Für die Turniere in Südafrika 2010 und Brasilien 2014 konnten sich die „grünen Falken“ nicht qualifizieren. Vor vier Jahren schied man in Russland bereits in der Gruppenphase aus – so auch in drei der vier weiteren Teilnahmen. Vor 28 Jahren erreichten die Saudis überraschend das Achtelfinale.
Die katarischen Nachbarn befinden sich durch mannschaftliche Geschlossenheit und einem positiven Trend in guter Form. Im Land herrscht große Fußballbegeisterung, welche die Spieler bei der WM zu spüren bekommen dürften. Monika Staab, Trainerin der saudischen Frauen-Nationalmannschaft, verglich die Stimmung bei Länderspielen mit der von Borussia Dortmund und dem FC Schalke 04.
Ohne Druck – mit Erfolg?
Der aktuelle saudische Kader ist nicht wirklich stärker als der von vier Jahren. Die Mannschaft hat bestenfalls durchschnittliche Qualität und wird wohl nicht mit den Gruppengegnern Argentinien, Polen und Mexiko mithalten können. Die Philosophie mit aggressivem Pressing und Fokus auf die Flügel könnte dennoch für Gefahr sorgen. Der klare Underdog-Status hat aber auch einige Vorteile: Das Team von Trainer Renard kann ohne Druck aufspielen und hat nicht die Erwartung, die Gruppenphase zu überstehen.
Dennoch könnten die Saudis mit dem Niveau in ihrer Gruppe ziemlich überfordert sein. Es fehlt an Qualität, Erfahrung und hungrigen Talenten. Mit Disziplin, Geschlossenheit und einer klugen taktischen Ausrichtung sollen die Defizite ausgeglichen werden. Die erneute WM-Qualifikation – sogar als Gruppenerster – ist für die „grünen Falken“ bereits ein großer Erfolg. Das Erreichen des Achtelfinales scheint ausgeschlossen. Ein Sieg in der schwierigen Gruppe wäre eine Sensation. Allerdings sollte man die Mannschaft von der arabischen Halbinsel nicht unterschätzen.
Prognose: Qualifikation bereits ein Erfolg – Gruppenaus
Autor: Maximilian Dymel